Agressiver Mob blockiert Flüchtlingsbus den Weg in die neue Unterkunft lese ich …
Vor einigen Wochen ging mir plötzlich durch den Kopf, dass hierzulande etwas gehörig schief läuft. Ich fragte mich, ob sich nicht ein beträchtlicher Teil der heutigen Gesellschaft in ähnlicher Weise verhält, wie es schon vor Jahrzehnten, die Generation unserer Ur- und Großeltern, also die Gesellschaft der Weimarer Republik, tat. Ganz ähnlich wie heute, sollte auch damals, eine bestimmte Personengruppe nicht Teil der Gesellschaft sein. Dafür wurden mehr und mehr Grenzen überschritten. Auch jetzt werden wieder Grenzen überschritten, um Menschen nicht in unserer Mitte dulden zu müssen.
Seit Wochen kann ich mich an keinen Tag erinnern, an dem ich nicht schreckliche Dinge über Flüchtlinge von Bürgerinnen und Bürgern gehört, in der Presse gelesen oder in anderen Medien gesehen habe. Gleichzeitig sah ich aber auch verzweifelte Menschen auf der Flucht, die auf ihrem Weg zu uns nach Europa im Mittelmeer ertranken.
Ich kann mich noch gut erinnern, an den Schrecken hierzulande über die Vorgänge im Mittelmeer und an das darauf folgende Mitgefühl, was die ersten Nachrichten und Bilder von ertrunkenen Flüchtlingen auch bei vielen Deutschen auslöste. Was ist geschehen? Wo sind die Menschen geblieben, die damals noch helfen wollten? Inzwischen habe ich bei allem was ich höre, lese und sehe, den Eindruck, dass wir nichts aus der Geschichte gelernt haben. Es geht dabei nicht um Sühne, sondern um Mitgefühl und Empathie. Vielleicht sind wir auch einfach nur nicht am Ball geblieben, und es liegt daran, dass wir nicht mehr ausschließlich das „Volk der Verlierer“ sind. Anders als im Westen, lernten DDR Bürgerinnen und Bürger, dass sie sich als Teil der Sowjetunion zu den Gewinnern des 2. Weltkrieges zählen durften. Das erfuhr ich kürzlich von einem russisch stämmigen Mitbürger. Es ist ein anderer Blickwinkel auf das Geschehen, der nicht richtig sein muss, aber einiges erklären würde.
Nun verbreitet sich in der Zwischenzeit dieses Video rasant durch alle Medien und sorgt für Scham und Entsetzen …
Ein Bus mit Flüchtlingen auf dem Weg in ihre neue Unterkunft, blockiert von einem fremdenfeindlichen Mob – von ähnlichen Szenarien, die sich deutschlandweit ereignen und dabei durch zunehmende Aggression und fortschreitende Grenzüberschreitungen von Seiten Einheimischer auffallen, ist seit Wochen fast täglich zu hören und zu lesen. Spätestens an diesem Punkt, stellt sich nun die Frage „Wie will unsere Gesellschaft hier weitermachen?“
Wer sich das Video anschaut, sieht und hört selbst, wie ein aggressiver Mob, bestehend aus gut 100 Menschen, „Wir sind das Volk“ brüllt und dabei versucht einen Bus mit Flüchtlingen an seiner Weiterfahrt zur deren neuen Unterkunft zu hindern. Sie selber sehen sich als Bürgerinnen und Bürger, die ihr Demonstrationsrecht in Anspruch nehmen, doch das was sich in Clausnitz abspielte, hat nichts mehr mit unserem „Recht auf freie Meinungsäußerung“ zu tun.
Ich habe mir bisher immer Zeit für Menschen genommen, die mir sagen, dass sie Angst haben, selbst wenn ich diese Angst ursächlich als nicht begründet ansehe, denn sie ist geschürt. Sich von Angst anstecken zu lassen, ist kein Argument dafür, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger sich gehen lassen und dabei mehr und mehr Grenzen überschreiten. Es ist keine Begründung für schlechtes Benehmen und kein Argument für Straftaten, um diese anschließend mit Protest zu begründen.
Die Ängste, die im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsthema geschürt werden, werden bewusst von verschiedenen Seiten angestachelt. Von den Medien, aber z. B. auch von PEGIDA und der AfD, die die Menschen allesamt wie Schafe vor sich hertreiben. Die Beweggründe mögen verschiedene sein, sind im Ergebnis aber nicht besser. Bei Gesprächen erfahre ich, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger sich dieser Manipulation durch Dritte sehr bewusst sind, was sie aber nicht davon abhält, undifferenziert und ungeprüft auf Wahrheitsgehalt, selbst gegen Flüchtlinge zu hetzen.
Sie machen demnach einfach mit! Und das ist ein Punkt, der nicht mehr akzeptabel ist! Hier will ein Teil unserer Bürgerinnen und Bürger, andere Menschen dafür büßen lassen, dass wir an dieser Stelle selbst versagt haben, denn eine Regierung kann nur tun, was eine Gesellschaft sie tun lässt!
Die meisten Bürgerinnen und Bürger spielen sich ganz bewusst selbst ins politische Abseits und richten sich dann nebenbei in ihrem unzufriedenen Leben ein. Zwischen den Wahlen wäre viel Zeit für eigenes politisches Handeln.
Und noch haben wir ein demokratisches System, was es uns ermöglicht, unsanktioniert selbst politisch Einfluss zu nehmen. Demokratie ist kein Selbstläufer. Im Gegenteil, Demokratie ist anstrengend. Sie ist keine Selbstverständlichkeit und es allemal wert, dass man sie nutzt, damit sie nicht verloren geht! Zugeben wären mehr Transparenz und niedrigschwelligere Mitmachmöglichkeiten wünschenswert, doch auch mit den gegebenen Möglichkeiten, könnten Bürgerinnen und Bürger mit entsprechender Beteiligung, die Regierungen von Bund und Ländern ordentlich zum Schwitzen bringen. Stattdessen richten sie ihren Unmut gegen die Kanzlerin und eine Gruppe Menschen, die sich im Moment in einer schwächeren Position befinden.
Viele werden in ihrer Dummheit am 13. März ihr Kreuzchen bei der AfD machen – sie nennen es Protest und schaden dabei nur sich selbst und vielen anderen. Die meisten Flüchtlinge werden schon lange unser Land verlassen haben, wenn unsere eigenen Leute noch unter den Folgen des Einflusses einer AfD leiden müssen.
Nicht nur aus der Mitte unserer Gesellschaft spritzt es Gift und Galle. Selbst viele Personen aus Randgruppen, Menschen, die selbst stigmatisiert und diskriminiert allen Grund hätten, selbst politisch aktiv zu werden und sich jetzt zu solidarisieren, verlieren sich in Hass und Hetze gegen Flüchtlinge.
Dabei ist es simpel gesagt irrelevant, ob und wie viele Flüchtlinge kommen oder auch nicht …
Abgesehen von den real nach wie vor sehr niedrigen Bleibe-Zahlen, die jeder bei der eigenen Gemeinde einsehen kann (z. B. im Internet), entscheidet „die Flüchtlinge-Kommen-Gehen-oder-Bleibe-Frage“ nicht darüber, ob Bürgerinnen und Bürger, die selbst von Armut bedroht oder betroffen sind, zukünftig finanziell besser gestellt sein werden.
Niemand von uns kann das Leid ermessen, was Menschen dazu bringt, ihre Heimat zu verlassen. Wer von uns würde das tun? Wie viel Leid würde es brauchen, bevor einer von uns einen Koffer oder Rucksack packt, um dann das eigene Zuhause, die gesamte Familie und die Freunde, seine Heimat zu verlassen? Und das in dem Wissen, dass man keine bequeme Bahnfahrt nach Deutschland unternehmen wird, sondern nur mit der wagen Hoffnung im Gepäck, dass es in Deutschland oder einem seiner europäischen Nachbarländer, vielleicht eine Chance für einen Neustart geben könnte!?
Hier komme ich zu dem Punkt, an dem ich daran denke, dass ich oft gefragt werde, wie die Piraten und ich als deren Kandidatin das mit den Flüchtlingen sehe …
Möglicherweise werde ich sagen, dass ein Integrationskonzept gebraucht wird, was zusammen mit einer Delegation einheimischer Menschen und Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund als auch geflüchteten Menschen erarbeitet werden sollte und das es genauso wichtig ist, dass wir in den Herkunftsländern der Menschen, die zu uns nach Europa flüchten, politische Prozesse anstoßen und umsetzen müssen, damit niemand seine Heimat verlassen muss. Doch bevor ich davon spreche, muss ich daran denken, dass wir eines Tages möglicherweise selber die Koffer packen müssen, weshalb ich stattdessen zuerst darüber spreche, dass überall in Deutschland und Europa, Atomkraftwerke stehen, die gewartet werden müssen.
Allein in Baden-Württemberg stehen fünf, teils stillgelegte Kernkraftwerke. Die Stilllegung ändert aber nichts daran, dass sie gewartet werden müssen. Es ist bekannt, dass es viele Sicherheitsmängel gibt und es in der Vergangenheit bereits immer wieder zu Störfällen kam. In Europa und auch in Deutschland. Einige davon konnten nur mit äußerster Not beherrscht werden wie die Öffentlichkeit erst im Nachhinein erfuhr. Wir haben bisher einfach nur sehr viel Glück gehabt und sollten uns bewusst machen, dass solch eine Situation jederzeit wieder geschehen kann. Niemand kann garantieren, dass Fehler in diesem Bereich dauerhaft vermieden können.
Sollte es jemals zu einem Gau kommen, sind wir die Flüchtlinge. Gesetz dem Fall, dass wir dazu noch in der Lage sind. In europäische Nachbarländer wie z. B. Frankreich zu fliehen, käme bei einem Strahlenunfall aufgrund der geringen Reichweite kaum für uns in Frage.
Ich möchte in so einem Fall nicht durchs Mittelmeer schwimmen müssen, sondern wünsche mir, dass man sich daran erinnert, dass wir andere in ihrer Not aufgenommen haben, um ihnen ein neues Leben zu ermöglichen. Denn wir haben nur das eine Leben!
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